Priester sein in Zukunft

Bild: Wandteppich «Tut dies zu meinem Gedächtnis» von Ferdinand Gehr, Bildungshaus Batschuns (A).

 

Im Daheim vieler Priester der Konzilsgeneration hängen Bilder des Ostschweizer Künstlers Ferdinand Gehr. Von ihm wird gesagt, er hätte seine Bilder tagelang meditiert, das heisst: durch Kopf und Herz gehen lassen, bis er sie in einem Zug aufs Papier brachte. So drücken sie konzentriert das Wesentliche aus. Ähnlich ist es mit dem Markusevangelium: Wie bei einem Gehr-Holzschnitt wird da in wenigen, klaren Strichen die Frohe Botschaft erzählt von Jesus Christus, Gottes Sohn. So sollte es auch sein, wenn wir über das Priestersein sprechen: einfach und klar, auf das Wesentliche konzentriert.

Der Evangelist Markus skizziert gleich nach der Berufung der ersten Jünger so etwas wie einen «Modell-Tag» Jesu (Mk 1,29–39). Darin finde ich vier Elemente, die meines Erachtens wesentlich zum Priestersein gehören – relativ unabhängig davon, welche soziale Gestalt dieses Priestersein gerade annimmt und wie sich der Ordo in Zukunft konkret gestalten wird.

Jesus kommt ins Haus des Simon und Andreas. Dort liegt die Schwiegermutter des Simon mit Fieber im Bett. Jesus geht zu ihr, fasst sie an der Hand und richtet sie auf. Das Fieber weicht von ihr, und sie sorgt für ihn und die Jünger. Ich meine, dass zum Priestersein immer die Fürsorge gehört, die Sorge für andere – auch in diesem Gegenüber, das heisst: ohne ganz aufzugehen in der Gemeinde. So dient der Ordo, das besondere Priestertum, dem allgemeinen Priestertum aller Gläubigen.
Gegen Abend versammelt sich die ganze Stadt vor dem Haus, und Jesus heilt viele. Genauso sollte der Priester, besonders der «Leutpriester», für viele da sein, nicht nur für einen exklusiven Kreis. Das schliesst das Interesse an verschiedenen Dingen ein, an allem, was den Menschen bewegt – Freude und Hoffnung, Trauer und Angst.

Am Morgen früh steht Jesus auf, um an einem einsamen Ort zu beten. Priestersein heisst, ein Mensch des Gebetes zu sein, für andere und mit anderen zu beten. Für mich findet dieses Mit- und Füreinander-Beten in der Eucharistiefeier seinen stärksten Ausdruck. Hier zeigt sich, dass das Wesentliche nicht selbst gemacht, sondern Geschenk ist. Es kommt schon auf mich an, aber es hängt nicht von mir ab. Bei der Feier der Sakramente steht die Person des Priesters dafür: Gott ist da – «ex opere operatum». In einer Welt, wo man unter dem permanenten Druck steht, sich ständig selbst entwerfen und inszenieren zu müssen, ist das eine echte Erlösung.

Schliesslich suchen Simon und seine Begleiter Jesus, und als sie ihn finden und zu den Erwartungen der Menschen zurückbringen wollen, entzieht sich Jesus diesem Ansinnen. «Lasst uns anderswohin gehen!» Wieder ein Aufbruch, «una iglesia en salida», eine Kirche, die nicht stehen bleibt, sondern weitergeht, anderswohin, an die Ränder. Ich bin nie fertig im Glauben – das wird mir immer mehr bewusst, je länger ich Priester bin. Und so, wie die Ehe keine Einfahrt in den sicheren Hafen ist, ist auch das Priestersein eine Existenz im ständigen Aufbruch. Für mich ist die Lebensform des Zölibats ein Ausdruck, ein Mittel für diese Nicht-Sesshaftigkeit.

Mehr als ein Holzschnitt zum Priestersein – überhaupt sowie heute und in Zukunft – ist das alles nicht, aber immerhin das. Daran will ich mich halten.

Beat Grögli*

 

* Beat Grögli (Jg. 1970) studierte Theologie in Freiburg, Wien und Innsbruck. Von 1998 bis 2003 war er Vikar in der Stadtpfarrei St. Otmar in St. Gallen. Danach studierte er Psychologie an der Universität Gregoriana in Rom. Von 2006 bis 2013 wirkte er als Kaplan in Heiligkreuz-Rotmonten und ist seit Mai 2013 Dompfarrer der Kathedrale in St. Gallen.

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Editorial

«Seht, ich mache alles neu» (Offb 21,5)

«Es ist nicht mehr so wie früher» – dieser Satz begegnet mir öfters in Gesprächen mit gleichaltrigen oder älteren Menschen. Sie blicken auf die gesellschaftlichen und kirchlichen Entwicklungen und bedauern diese. Und manchmal ertappe ich mich selbst dabei, wenn ich an meine Kindheit und Jugendzeit denke. Frei von Handys habe ich mit meinen Geschwistern und den Nachbarskindern viel Zeit im Wald verbracht mit Hüttenbauen, Holzen, Bräteln von Würsten ... Manche sind froh, dass es anders ist oder manches anders ist. In der Kirche bedauern Christinnen und Christen die abnehmende Zahl von denen, die regelmässig den Sonntagsgottesdienst mitfeiern, den Ausfall der sonntäglichen Eucharistiefeier vor Ort, die fehlenden Priester ... «Bedauern» enthält für mich ein Moment der Trauer, eine Trauer über einen Verlust, sei es von mir Wichtigem, Vertrautem oder Gewohntem. Das mittelhochdeutsche Wort für «bedauern» heisst «betũren» und ist verwandt mit dem Adjektiv «teuer». Neben der monetären hat dieses die Bedeutung von «lieb, wert, kostbar, hochgeschätzt». Wenn ich über den Verlust des Gewohnten hinausblicke und nach den tieferliegenden Gründen der Trauer frage, entdecke ich Kerne dessen, was mir wichtig, lieb, teuer ist. Diese gilt es zu bewahren, zu pflegen und in die Zukunft mitzunehmen. Und ich blicke neugierig um mich, wo entdecke ich sie heute – an anderen Orten in neuer Form.

Maria Hässig